Ein schöner Tod

Mein Papa…

Er ist nicht mehr…

Nein – ich träume. Gerade habe ich doch noch Kuchen mitgebracht und seine geliebten Süßigkeiten.

Jede Woche – es war schon ein Ritual – fuhr ich von Hannover nach Bremen zu meinen Eltern. Beide pflegebedürftig. die Mutti sitzt im Rollstuhl, hört nicht mehr so gut, aber sonst ist sie ganz munter. Papa hat schwere COPD, der Verlauf der Krankheit ist tödlich. Aber das kann ja noch dauern…. 30% Lungenfunktion hat er ja noch und ein Beatmungsgerät – fix und auch mobil. Vor drei Wochen waren wir noch in unserem Stammlokal. Papa ging so gerne aus. Die ganze Bedienung liebte meine Eltern und die Wirte überschlugen sich, wenn wir kamen. Es wurde ein neuer Aperitif gemixt – Papa war offen für alles Neue. Auch neuen Inspirationen des Koches stand er immer sehr offen gegenüber.

Mutti lächelte immer freundlich, auch wenn sie bei der Akustik im Lokal wenig verstand. Ist ja auch nicht wichtig, Sie spürte, die Menschen bemühten sich um sie und taten alles, damit es ihr gut geht. Auch Papa freute sich immer, wenn der Wirt sich zu uns setzte und ein bisschen mit ihm klönte. So viele schöne Erlebnisse, auch noch in einer Zeit, in der meinen Eltern nichts mehr leicht fiel. Der Alltag, war immer mit Quälerei, immer mit Schmerzen und Unwohlsein verbunden. Aber das ließen sie sich möglichst nicht anmerken… Sie lächelten und sie freuten sich!

Jeden Sonnabend fuhr ich nach Bremen, kaufte ein, erledigte Dinge für sie, wir aßen Kaffee und Kuchen – und es tat ihnen gut.

Am 19.10. 2013 war alles anders.

Als ich mit meinem Kuchen ankam, traf ich gerade noch den Notarzt, der meinen Vater ins Krankenhaus brachte. Die Lungenentzündung war nicht ausgeheilt… Kurz in die Notaufnahme, dann auf die Station.. und dann auf die Intensiv…

Der Zustand verschlechterte sich schnell. Ich war die ganze Nacht auf der Intensivstation, er öffnete die Augen nicht mehr, schlief aber endlich ruhig. Als er noch bei Bewusstsein war, (meine Schwester und ich wechselten uns mit der Betreuung ab) rief er: halt meine Hand. Diesen Wunsch haben wir ihm erfüllt. Die ganze Nacht hielt ich seine Hand, streichelte ihn. Ich las aus der Bibel, besonders die Passagen, in denen Jesus Kranke heilte… wir beteten. Und wisst Ihr, was ich ihm vorgesungen habe? Lalelu … mir fiel einfach nichts anderes ein, aber die Melodie finde ich so schön.

Ich wusste nicht mehr, was ich ihm wünschen sollte. Mein Herz sagte mir, er hat keine Kraft mehr… auch wenn er wieder aufwachen sollte, er könnte kein angenehmes Leben mehr führen.

Ich ließ ihn wissen, dass er für uns nicht mehr kämpfen müsse. Er hat soviel für uns getan – sein ganzes Leben drehte sich nur um uns – um seine Familie. Er sollte jetzt nur noch an sich denken…

Die Ärzte teilten mir bei der Visite mit, dass die Nieren versagten, und nun die Organe nach und nach aufgeben. Wie lange das dauert? Keiner weiß es … es kann Tage, es kann Wochen dauern. Er wurde wieder auf die Station gebracht, da wir dank Papas Patientenverfügung keine lebensverlängernden Maßnahmen erlaubten.

Ich fuhr schnell nach Hause, um meine Katzen zu versorgen, dann wieder nach Bremen. Meine Mutter hatte ihn auch noch besucht. Danach machte ich mich für eine nächste Nacht mit ihm bereit. Ich war gerade zehn Minuten da. Ich nahm seine Hand, meine Schwester befeuchtete seine Lippen. Er schluckte zweimal… (das konnte er die ganze Zeit nicht mehr) , ich schob den Luftschlauch in seinen Mund, da er nicht mehr durch die Nase atmen konnte…

Doch ich merkte, er atmet nicht mehr!

Ich nahm seine Hand und betet das Vaterunser mit ihm.

Ein unbeschreiblicher Moment – ganz ohne Angst. Er war noch bei mir – Gott war uns so nah! Meine Schwester erlaubt mir leider nicht, sein Gesicht zu bedecken…

Dennoch – Es war ein so friedlicher und sanfter Moment – ich hatte ein Lächeln auf den Lippen vor Glück und Dankbarkeit! Ich gab ihm den letzten Abschiedskuss.

Einen schöneren Tod kann ich mir nicht vorstellen. Alle Lieben dabei – kein Todeskampf – ein sanfter, kampfloser Übergang.

Nun bekommt er wieder Luft, er kann wieder laufen und tanzen und wird nun immer bei uns sein… in unseren Herzen!

© Sabine Koss

Ein schöner Tod II

Es ist so ruhig

Habe heute Mutti den Fernseher eingestellt, irgendwas funktionierte da nicht. Ich setze mich in den Fernsehsessel… da saß er immer. Schnell woanders hingesetzt und mir nichts anmerken lassen.

Kuchen für Mutti mitgebracht, sie hat schon den Küchentisch gedeckt…. mein Teller steht auf seinem Platz… Versuche den Teller unauffällig auf „meinen“ Platz zu schieben. Dort, wo ich immer gesessen habe, als er noch da war. Es ist so ruhig, wenn ich nun in Bremen bin. Es ist so leer, wenn ich nun in Bremen bin. Keine Meinungsverschiedenheiten mehr. Oh, er konnte ja so aufbrausend werden, wenn es anders lief, als er es sich vorstellte. Dann konnten die Nachbarn bei geschlossenem Fenster mithören

Kein liebevolles Lächeln mehr, wenn wir uns ohne Worte verstanden haben. Nun ist es bald ein Vierteljahr her, dass er nicht mehr bei uns ist. Und so langsam erst merke ich, er fehlt überall. Nicht nur in Bremen. Einfach überall. Seine tiefe, voluminöse Stimme – sogar, wenn er leise redete, konnte seine Frau ihn auch ohne Hörgerät verstehen. Nur zuletzt nicht mehr wirklich, weil er kaum noch Kraft zum Reden hatte…

Verdammt – ich will mich wieder mit ihm zoffen. Ich will, dass er mich mal wieder auf den Pott setzt.

Ich will… Nicht zu fassen, was für eine Lücke ein geliebter Mensch hinterlassen kann!

©Sabine Koss

7 Gedanken zu “Ein schöner Tod

  1. Abschied -Liebe
    oder
    elementar

    Wenn ich scheiden
    will
    von dieser Welt in
    eine andere …

    laßt mich in Freiheit
    gehen
    und Liebe …

    Trauert um euren Schmerz
    und
    freut euch mit mir
    weil ich gehen wollte
    von dieser Welt in
    eine andere
    Freiheit
    Liebe ist und bleibt
    oder sie war nie……
    © Fvdb

    Dankgruß, Sabine!

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      1. Jetzt erst entdeckt, liebe Sabine! Die tiefsten, annähernd unbegreiflichsten Erfahrungen sind schwer, oder gar nicht in Worte zu fassen und dennoch haben sie die stärksten Energien!
        Du hast wundervoll geschrieben, nah‘ und anrührend!
        Liebe Grüße, Frauke-Freya.

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